„Bildung für nachhaltige Entwicklung” denkt Bildung für eine Welt von Morgen, für die wir bewährte Techniken, aber vor allem neue Lösungen, also kreatives Denken und Handeln benötigen. Dabei spielt es eine wichtige Rolle, dass die Einzelnen die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt verstehen. Der Begriff Nachhaltigkeit beinhaltet in seiner heutigen Bedeutung die Beachtung der wechselseitigen Beeinflussung von Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Bildung, die hierzu befähigen soll, muss über die Vermittlung konkreter Fakten und Methoden hinausgehen.
Die 2015 beschlossene Agenda 2030 ist für alle Mitgliedsstaaten, also auch für Deutschland, verpflichtend. Das Kernstück bilden 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, kurz SDGs), die weltweit eine nachhaltige Entwicklung auf ökologischer, sozialer und ökonomischer Ebene sichern sollen. Laut Zielvorgabe 4.7 („Hochwertige Bildung“) ist sicherzustellen, „dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen, Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung, eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die Wertschätzung kultureller Vielfalt und des Beitrags der Kultur zu nachhaltiger Entwicklung“.
Die Naturschule Marburg geht dabei über das bisher dürftige Angebot einzelner, schnell vergessener Projekte hinaus und macht BNE zur absoluten Grundlage des Konzeptes. Und das nicht nur im Lernplan, sondern authentisch im gesamtinstitutionellen Ansatz: Nachhaltigkeitsaspekte werden z.B. in der Organisationsstruktur, beim Ressourcen- und Energieverbrauch, bei der Entsorgung von Abfällen oder bei der Schulverpflegung berücksichtigt.
Die Gründung der Naturschule ist auch auf regionaler Ebene ein Gewinn, da sie sich passgenau in die Zukunftsbilder der Nachhaltigkeitsstrategie Hessen (NHS) einfügt und vorlebt, wie die dazugehörigen neuesten Empfehlungen des Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUKLV) konsequent umgesetzt werden können.
„Nichts ist so beständig wie der Wandel.” Dieses Zitat von Heraklit ist heute aktueller denn je. Das Arbeitsleben und die Wissensgenerierung verändern sich vor allem durch die voranschreitende Digitalisierung und die Weiterentwicklung künstlicher Intelligenzen in hohem Tempo. Bei der Bildung unserer Kinder sollte der Schwerpunkt nicht mehr auf der Vermittlung von Faktenwissen liegen, das jederzeit und nahezu überall einfach abrufbar ist. Vielmehr muss Bildung eine Mündigkeit zum Ziel haben, die sich auf die Fähigkeit gründet, sich selbstständig relevante Bildungsbestände anzueignen und Quellen kritisch hinterfragen zu können. Anders als noch vor wenigen Generationen wissen wir heute nicht, wie die (Berufs-)welt in 20 oder 30 Jahren aussieht. Aber wir wissen, dass es Resilienz, Kreativität und ein starker innerer Antrieb sind, die unsere Kinder befähigen, ihren guten Platz darin zu finden.
Bildung verstehen wir dann als gelungen, wenn inwendig, durch überwiegend intrinsisches Interesse, Motivation und emotionale Beteiligung Weltbeziehungen entstehen. Die Naturschule Marburg versteht sich als offener Raum, in dem Menschen in ihrem Selbst wahrgenommen und gewürdigt werden und in dem sie sich selbstwirksam erleben und motiviert bleiben, die Welt zu entdecken, mitzugestalten und Anteil an ihr zu nehmen.
Die Schüler:innen werden an Entscheidungen beteiligt und erfahren die Wirksamkeit ihres eigenen Tuns. Sie erleben, was Gemeinschaft, Solidarität und Vielfalt bedeuten. Sie lernen, Verantwortung zu übernehmen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, und finden den Mut, Dinge zu verändern.
Unsere Schule wollen wir nicht nur als einen Ort verstehen, an dem gelernt und vermittelt wird, sondern vor allem als einen Ort, an dem Menschen wichtige Lebenszeit verbringen und an dem sie sich entwickeln können. Da Kinder heutzutage häufig einen Großteil ihres Alltages in ihrer Einrichtung verbringen, achten wir darauf, den Kindern neben den projekt- und handlungsorientierten Lernzeiten ausreichend Zeit für freies Spiel zu lassen. Im Spiel üben Kinder aus eigenem Antrieb heraus mit Konzentration und Hingabe das, was in ihrer Entwicklung gerade Thema ist. Spielen fördert die gestalterischen, produktiven und empathischen Kräfte und kräftigt die Beziehung eines Menschen zu sich selbst, seiner Umgebung und seinen Mitmenschen. Als unmittelbarste und nachhaltigste Möglichkeit des sozialen Lernens und der Weltaneignung hat das freie Spiel nachweislich ein enormes Potential und einen festen, wertgeschätzten Platz in unserem Alltag (→ BNE-Teilziel Sozialkompetenz).
Die Naturschule Marburg bedient sich der Wald-, Natur- und Wildnispädagogik als Basis für das tägliche Lernen und Erleben und integriert dabei eine sinnvolle, zeitgemäße und zukunftsorientierte Beschulung.
Wir sind der Überzeugung, dass Menschen in der Natur einen idealen Raum zum Entfalten, Wachsen und Lernen vorfinden. Eine Kulisse aus natürlichen Geräuschen, Gerüchen, Farben und Oberflächen wirkt nachweislich stressmindernd und zentrierend, sowie anregend, ohne zu überreizen. Draußen können Menschen besser auf ihre individuellen Bedürfnisse achten und zeigen gleichzeitig ein besseres Sozialverhalten. So hallen z.B. Geräusche nicht von den Wänden wider und der Draußenraum ist durch Büsche und Bäume vielfältig strukturiert. Dadurch ist es gut umsetzbar, dass eine Gruppe in Kommunikation und Bewegung lernt, während ein anderes Kind sich eine ruhige Ecke sucht. Die Kooperationsfähigkeit und die empathische Wahrnehmung werden gestärkt und das Eskalationspotenzial in Konflikten gedämpft. Eine tägliche, zeitlich ausreichende Exposition zu direktem, natürlichem Tageslicht ist zudem essentiell für einen stabilen Schlaf-Wach-Rhythmus und eine gesunde Entwicklung der Augen. Naturaufenthalte tragen zum allgemeinen Wohlbefinden bei und schaffen so ideale Bedingungen zum Lernen. Nicht zuletzt bietet ein Alltag draußen zahlreiche Bewegungsanreize, die Menschen für ihre Gesundheit dringend benötigen.
Naturerfahrungen und das Lernen von, in und mit der Natur fördern auf einzigartige Weise Kreativität, Gesundheit, Sozialverhalten und Resilienz. Draußen lernen ist authentisch und konkret. Mit der Naturschule Marburg gehen wir gezielt über das Angebot einzelner Zeitfenster oder Projekte in der Natur hinaus und wollen einen naturverbundenen Lernort schaffen, an dem der Lernalltag überwiegend draußen und dabei in hohem Maße selbstbestimmt und kooperativ erlebt wird. Wir sehen die Naturschule Marburg als eine bereichernde Gemeinschaft, die in aktiver Zusammenarbeit mit anderen Bildungsorten der Region steht und als Vernetzungspunkt eine solidarische Gesellschaft fördert
Unser Vorgehen wird von einem Team der Philipps-Universität Marburg wissenschaftlich begleitet.